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Videotherapie – Chance bei COVID-19? Ein Resümee nach 4 Wochen

Durch neue Regelungen ist es für die Therapeuten einfacher gemacht worden, Videosprechstunden als Ergänzung für bestehende Psychotherapien anzubieten. Patienten müssen damit trotz Ausgangbeschränkungen nicht auf das wöchentliche Gespräch bei ihrem Therapeuten verzichten – für viele Patientin eine Erleichterung!

 

Doch für wen ist die Videotherapie geeignet? Wir ziehen ein kurzes Resümee nach 4 Wochen Erfahrung.

 

Corona (Covid-19) hat sich schleichend in unseren Alltag integriert. Zuerst war es weit weg, drang dann aber rasant in unsere Lebenswelt ein. Seit einiger Zeit sind wir durch starke Restriktionen in unserem Alltag eingeschränkt. Der Gang in den Supermarkt, zu Ärzten oder Therapeuten oder ins Fitnessstudio – ja sogar in die Schule, alles unterliegt Beschränkungen oder ist gar nicht mehr möglich. In diesem Zusammenhang ist Videotherapie eine großartige Möglichkeit, Patienten weiter zu versorgen und Unterstützung anbieten zu können. Und das gerade in einer Zeit, in der bekannte Routinen und Strukturen wegfallen.

 

Unsere Patienten nutzen zum Großteil die Möglichkeit zur Videosprechstunde. Derzeit finden ca. 90% aller Gespräche in diesem Format statt. Zunächst gab es bei einigen Familien Unsicherheiten und Hürden. Wie funktioniert das? Kann ich das technisch umsetzen? Wie ist die Qualität des Gesprächs, wenn man sich nicht persönlich gegenübersitzt? Das sind Fragen, die sich nicht nur die Patienten gestellt haben.

 

Zunächst einmal die technische Seite: Es funktioniert erstaunlich gut! Unser Videoanbieter (https://app.sprechstunde.online/) läuft stabil und ist für Patient und Therapeut sehr einfach zu bedienen (eine Kurzanleitung finden Sie hier). Begrenzungen gibt es höchstens durch schwache Internetverbindungen und alte Endgeräte – dann kann es schon mal sein, dass man das Gespräch lieber am Telefon durchführt.

 

Zur Therapie-Treue: Unser Resümee ist, dass die Termine verbindlicher und zuverlässiger wahrgenommen werden als Präsenztermine. Das kann zwei Ursachen haben: Zum einen werden die Patienten von unserem Videoanbieter per SMS an den Termin erinnert. Zum anderen müssen Patienten nicht den Weg in die Praxis auf sich nehmen und können – selbst wenn man den Termin „fast“ vergessen hätte – mal eben schnell das Notebook, Tablett oder Handy hochfahren und sich einwählen.

 

Ist Videotherapie für alle geeignet? Auf keinen Fall. Gute Erfahrungen haben wir mit der Therapie von älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit normaler kognitiver Begabung und guten Aktivitätsniveau gemacht. In einigen Fällen scheint sich die Qualität der Gespräche verbessert zu haben – wohl weil die Patienten entspannt zuhause in einer geschützten Umgebung sitzen und sich gut im Gespräch öffnen kann.

 

Besonders geeignet scheint uns die Videosprechtstunde für Patienten, die wegen einer Vorerkrankung unter die Risikogruppe fallen und daher besonders vorsichtig sein müssen, um sich vor Übertragung zu schützen. Von diesen Patienten wurde die Videotherapie bisher gern angenommen.

 

Bei jüngeren Kindern oder bei Patienten mit starker Einschränkung der Affektivität scheint die Videotherapie eher wenig nützlich zu sein. Gerade Kinder fordern oft den persönlichen, zuweilen auch körperlichen Kontakt ein, der sich z.B. bei gemeinsamen Spielen ergibt. Hier ist die Videotherapie manchmal etwas langwierig und der Beziehungs- und Kontaktaufbau deutlich eingeschränkt. Für diese Klienten freuen wir uns, bald wieder Präsenztermine anbieten zu können.

 

Videotherapie und Depression: Bei depressiven Patienten ist manchmal schon der Weg zum Therapeuten eine Form der Aktivierung – man kommt raus, an die Luft und hat etwas körperliche Bewegung. Auch für diese Patientengruppen bieten wir weiterhin persönliche Termine an.

 

Videotherapie und Angststörungen: Für sehr schüchterne Menschen ist es eine sehr große Herausforderung sich selbst am Bildschirm zu sehen, manchmal auch zu hören. Hier haben wir sehr große Hemmnisse erlebt bis hin zu Verweigerung der Videosprechstunde. Diese Ängste und Unsicherheiten stellen jedoch zugleich einen wunderbaren Einstieg in das Gespräch dar und sind eine gute Übung anfängliche Ängste zu überwinden! Ist der erste Schritt gemacht, ergeben sich wunderbare Möglichkeiten für die weitere Begleitung.

 

Videotherapie und Elterngespräche: Eltern schätzen unseres Erachtens nach die Videogespräche besonders. Es ist für viele Eltern eine deutliche Zeitersparnis – und in einigen Fällen war ein Gespräch selbst von der Arbeit aus möglich. So können wir gut vormittags Termin belegen und den Eltern etwas Zeit ersparen. Letztendlich ist es eine Frage der inneren Bereitschaft und Einstellung, ob Eltern die Videotherapie als hilfreich erleben können.

 

Videotherapie und Spiele: Besonders stolz sind Kinder, wenn sie ihrem Therapeuten mal das eigene Zimmer, das Lieblingsspielzeug oder das wichtige Kuscheltier zeigen können. Auch gemeinsame Spiele sind möglich – hier eine Aufzählung von Spielideen für ältere Kinder:

 

  • Galgenmännchen: Konzentrationsförderung und Schriftsprach-Erwerb
  • Stadt, Land, Fluss: Allgemeinwisse, Sprachverständnis, Wortschatz und Konzentration
  • Stein Papier Schere: Aufregung und Reaktionsbereitschaft
  • Montagsmaler: Kreativität und Vorstellungsvermögen
  • Tabu: Wortschatz, Sprachverständnis und Konzentration
  • Wer bin ich?: Handlungsplanung, Konzentration, Sprachverständnis
  • Wortketten bilden: Konzentration, Merkfähigkeit
  • Pantomime: Soziale Kompetenz, Bewegung und Aktivierung
  • Mister X: Konzentration

 

Und in der Zukunft? Auf jeden Fall sind wir alle froh, wenn die Präsenztermine wieder mehr werden, denn der Beziehungsaufbau und persönliche Kontakt ist einer der wichtigsten Wirkfaktoren therapeutischen Arbeitens. Aber in einigen Fällen können wir uns sehr gut vorstellen auch nach COVID-19 die Videotherapie fortzuführen: Etwa wenn Patienten durch Umzug größere Entfernungen zurück zu legen hätten, oder um Eltern auch zukünftig Zeitersparnisse einzuräumen. Was ist also das Runde am Eckigen? Durch COVID-19 haben wir persönlich und auch einige unserer Patienten die Vorteile der Videotherapie kennengelernt. Wir werden nun auch zukünftig die Videotherapie als festen Bestandteil unseres Therapieangebots aufnehmen.

 

Thomas Buchholz & Nathalie Treis.